Offener Brief des DEHOGA Saarland an Ministerpräsident Tobias Hans
Corona: Hilferuf des Gastgewerbes
Der DEHOGA Saarland wendet sich in einem offenen Brief an den saarländischen Ministerpräsidenten:
Herrn
Ministerpräsidenten
Tobias Hans
Staatskanzlei
Am Ludwigsplatz 14
66117 Saarbrücken
Saarbrücken, 17.04.2020
Offener Brief
Corona: Hilferuf des Gastgewerbes
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Hans,
wir sprechen für über 3.000 gastgewerbliche Betriebe mit 18.000 Erwerbstätigen. Unsere Betriebe sind die regionalen Tourismus- und damit auch Wirtschaftsmotoren in allen Teilen unseres Landes – und wir sind sehr besorgt!
Die am Mittwoch auf Bundesebene getroffenen Entscheidungen zu den Corona-Maßnahmen beweisen erneut, dass aus wirtschaftlicher Sicht das Gastgewerbe die hauptbetroffene Branche der Krise ist. Kein Unternehmen verkraftet es, wenn der Umsatz für mehrere Monate zu 100 Prozent wegfällt. Im Gegensatz zu anderen Branchen waren aber unsere Betriebe die ersten, die geschlossen wurden, und werden die letzten sein, die wieder öffnen dürfen. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine Nachholeffekte gibt.
Es ist unstrittig, dass das Gastgewerbe alles akzeptiert, was gesundheitspolitisch geboten ist. Allerdings müssten die Maßnahmen nachvollziehbar und begründet sein.
Differenzierte Behandlung gastgewerblicher Betriebe
Es stößt bei vielen Betrieben auf völliges Unverständnis, dass bei Entscheidungen immer von „der Gastronomie“ gesprochen wird. Wir können nicht akzeptieren, dass unsere Branche bzw. die Gefahren, die in ihr gesehen werden, schlagwortartig auf den Skizirkus in Ischgl, das
Starkbierfest in Tirschenreuth oder den Karneval in Heinsberg reduziert wird. Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Betriebstypen machen differenzierte Regelungen für eine sukzessive Wiedereröffnung erforderlich. Ohne wenn und aber müssen diese Regelungen den Gesundheitsschutz, die Bedürfnisse von Gästen und insbesondere eine wirklichkeitsnahe Umsetzung aus Sicht der Betriebe berücksichtigen. Das Ansteckungsrisiko ist nicht in allen Betriebstypen des Gastgewerbes gleich hoch. Großveranstaltungen sind sicherlich anders einzustufen als das klassische Restaurant, Hotels, Cafés, Biergärten oder auch die ein oder andere Besprechung.
Bitte wenden Sie den differenzierten Blick, den Sie bei Schulen zeigen auch für unsere Branche an.
Wir plädieren dafür, strikt medizinisch zu begründen, welche Schutznahmen beachtet werden müssen – unabhängig davon, ob sie z.B. von einem „Einzelhändler“ oder einem „Gasthaus“ umgesetzt werden. Dies macht zudem zusätzliche Vorschriften, z.B. betreffend die Öffnungszeiten, überflüssig. Bei den Öffnungszeiten sind Eingrenzungen sogar kontraproduktiv, da bei längeren Öffnungszeiten die Gästenachfrage besser verteilt werden kann. Zudem muss ein überlebensfähiger Umsatz ermöglicht werden, damit die Kosten des Betriebs überhaupt gedeckt werden können. Ein Mittagstisch allein reicht nicht aus.
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, wir werden durch staatliche Anordnung zum Schutz der Allgemeinheit daran gehindert, selbständig unseren Lebensunterhalt zu verdienen und unsere Betriebe zu erhalten. Wir benötigen dringend weitere Unterstützung!Wir brauchen ein sofortiges Rettungspaket. Nur so lässt sich eine Insolvenzwelle und Massenarbeitslosigkeit verhindern. Wir erkennen ausdrücklich an, dass das Land hier nach seinen Verhältnissen schon viel getan hat. Dennoch reicht all dies erkennbar nicht aus. Es geht aber – wie spätestens am Mittwoch klar wurde - um einen sehr langen Zeitraum. Bitte machen Sie sich stark für:
- 1. Bildung eines Rettungs- und Entschädigungsfonds
Angesichts der dramatischen Corona-Folgen für unsere Branche brauchen wir neben der steuerlichen Entlastung die Bildung eines Rettungs- und Entschädigungsfonds mit direkten Finanzhilfen. Dieser muss für alle Betriebe zugänglich sein. Es darf nicht sein, dass die saarländischen Gastgeber nur mit einer hohen Verschuldung aus der Krise gehen, sollten sie sie überhaupt überstehen. Andere Branchen haben in weitaus weniger dramatischen Situationen hohe staatliche Unterstützungsleistungen erhalten. Unsere Familienbetriebe haben nicht die Rücklagen und Möglichkeiten großer Konzerne, um aus eigener Kraft aus der Krise herauszufinden. Viele, gerade größere Betriebe, haben in der Vergangenheit stark investiert. Die Kredite müssen zurückbezahlt werden. Es hilft uns mittelfristig nicht, dass wir die Tilgungen jetzt stunden können, um zu überleben und für die operativen Kosten neue Kredite aufnehmen "dürfen". Es ist richtig: Damit gehen wir nicht gleich unter! Aber mittelfristig dann eben doch! Das ist für uns kein Schutzschirm. Das ist ein Weg in die totale wirtschaftliche Überschuldung. Wir fordern daher ein Umsteuern: Ein Schutzschirm muss über die Betriebe aufgespannt werden und nicht über die Banken. Nur so lassen sich Massen-Insolvenzen sowie die damit verbundenen sozialen Härten abwenden und die Strukturen und Grundlagen für den Tourismus als wichtige Leitökonomie im Saarland erhalten. Gleichzeitig müssen die Entschädigungsmaßnahmen an die Zeit des Wiederhochfahrens gekoppelt werden. Für Betriebe, denen kein überlebensfähiger Umsatz garantiert werden kann, müssen staatliche Hilfen entsprechend länger garantiert werden.
- 2. Einführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes
Wir brauchen die Einführung des reduzierten Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent für gastronomische Umsätze rückwirkend zum 1. Januar. Zur Überwindung der Krise halten wir stabilisierende steuerliche Entlastungen für die gastgewerbliche Branche für dringend geboten. Der Umsatz in den gastgewerblichen Betrieben wird aufgrund von einzuhaltenden Abstandsregelungen deutlich niedriger sein als vor der Schließung. Im Abhol- und Liefergeschäft, das derzeit von einigen Unternehmen angeboten wird, gelten bereits 7 Prozent Umsatzsteuer. Dies muss für alle gastronomische Umsätze gelten. Nur so haben unsere Betriebe eine Chance, ihre Kosten bei geringerem Umsatze zu decken. Nur so lässt sich ein gewisser Ertrag erwirtschaften, der es den Betrieben ermöglichen kann, aufgenommene Kredite auch wieder zu tilgen. Das Corona-Virus wird die Branche noch lange Zeit beschäftigen.
- 3. Abschlagzahlungen beim Kurzarbeitergeld und Einbindung Azubis
Die Regelungen zum Kurzarbeitergeld sind richtig und auch sehr wichtig. Sie verhindern bis jetzt Massenentlassungen. Jedoch müssen die Betriebe in Vorleistung gehen, was Liquidität aus den Betrieben zieht. Gleichzeitig müssen unsere Betriebe für die Auszubildenden die Entgelte für sechs Wochen bislang selbst aufbringen. Diese sollten nach österreichischem Vorbild rückwirkend zum 1. April ebenfalls mit 100 Prozent Lohnausgleich in Kurzarbeit gehen dürfen. Hunderte Azubis befinden sich in unseren Betrieben, haben keine Arbeit und können nicht ausgebildet werden.
Lieber Herr Ministerpräsident, bitte lassen Sie uns Gastgeber im Saarland, die öffentlichen Wohnzimmer unserer Gesellschaft, die maßgeblich zur Lebensqualität und zum Image des Tourismuslands Saarland beitragen, in diesen schwersten Tagen ihrer Geschichte nicht allein.
Wir sind uns bewusst wie groß Ihre Verantwortung ist, zu entscheiden, wann unsere Betriebe wieder aufmachen dürfen. Wir sichern Ihnen und den staatlichen Behörden unsere konstruktive Unterstützung bei der Umsetzung eines geordneten Wiederhochfahrens zu. Unser Verband wird daher weiterhin die Notwendigkeit behördlich angeordneter, medizinisch begründeter Sicherungsmaßnahmen gegenüber seinen Mitgliedern vertreten und die Betriebe der Branche auffordern, sich konsequent an die amtlichen Bestimmungen zu halten. Wir können Handreichungen zur Umsetzung von Schutzmaßnahmen in gastgewerblichen Betrieben anbieten, die Politik bei der Verprobung der betrieblichen Umsetzungsmöglichkeiten in der Praxis beratend unterstützen sowie durch aktive Kommunikation und Information in die Branche hinein konstruktiv an der Überwindung der Corona-Krise mitarbeiten.
Wir setzen auf Ihre Unterstützung, brauchen dringend mutmachende Signale und Perspektiven für unsere Betriebe, die wir gestern im Rahmen der Pressekonferenz vermisst haben.
Mit herzlichen Grüßen und bleiben Sie gesund!
Gudrun Pink
Präsidentin
Verteiler: Ein Abdruck dieses Schreibens geht an die Presse sowie die Mitglieder des DEHOGA Saarland